Prof. Sharif Kanaana - Hintergrundinformationen

Volkserzählungen als Botschaften aus Palästina
Sharif Kanaana über den Humor der Palästinenser
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Veranstaltungen in der Schweiz 2005: Volkserzählungen als Botschaften aus Palästina

Eine Veranstaltungsreihe mit Prof. Dr. Sharif Kanaana (Birzeit-Universität, Palästina) in Bern, Basel, Solothurn und Zürich öffnet einen Zugang zu Märchen und Volkserzählungen aus Palästina. Altbekannte, und trotzdem unvertraute Geschichten, vorgetragen in Arabisch und Deutsch, nehmen Sie mit auf eine Reise in 1001 Nacht.

mgt. Arabische Märchen und Geschichten haben immer einen besonderen Reiz. Die Erzählungen aus Palästina, die der international anerkannte Fachmann Prof. Dr. Sharif Kanaana seit vielen Jahren sammelt und erforscht, laden aber nicht nur zum Träumen ein, sondern sind Teil des kulturellen Reichtums einer Region, die in unseren Breitengraden vor allem für politische Schlagzeilen sorgt.

Der engagierten pensionierten Lehrerin und Heilpädagogin, Sophiedorothea Berger aus Iseltwald ist es gelungen, Sharif Kanaana für eine Veranstaltungsreihe in der Schweiz zu gewinnen und eine interkulturelle Begegnung der besonderen Art zu ermöglichen.

Erzählungen auf Arabisch und Deutsch
An vier Abenden in Bern, Basel, Solothurn und Zürich werden von Sharif Kanaana und anderen Fachleuten die Märchen und Erzählungen auf Arabisch und in deutscher Übersetzung vorgetragen. Im Anschluss werden sich Podiumsgespräche und Diskussionen mit dem Publikum ergeben, um vertiefende Fragen zu stellen: Aus welchem kulturellen Erbe schöpft der Nahe Osten? Wie entstanden die Erzähltraditionen? Wie wurden und werden sie bewahrt und verbreitet? Welche Erfahrungen vermitteln sie für Märchenliebhaberinnen und -liebhaber, aber auch für die Literaturwissenschaft und die Ethnologie? Wo liegt ihre inspirierende Wirkung für die Schweiz und die europäische Kultur? Die vielfältigen und tiefgreifenden Fragen, die von den Fachleuten diskutiert werden, erschliessen eine ganz besondere Welt - altbekannt und doch unvertraut.

Flyer zur Veranstaltungsreihe in der Schweiz 2005
Ausführliche Dokumentationen können bei Sophiedorothea Berger angefordert werden.

Sharif Kanaana über den Humor der Palästinenser

Seit über fünfzehn Jahren beschäftigt sich Sharif Kanaana mit der palästinensischen Witzkultur. Besonders Arafat war bevorzugtes Ziel des Spotts. Frank Hessenland hat den palästinensischen Ethnologen in Ramallah besucht.

Frank Hessenland

"Diese hier und diese, und hier auch. All diese Kisten hier sind voll mit Witzen und Legenden der Palästinenser. Es ist zu einem Lebenswerk geworden, sie zu sammeln. Diese Kiste hier zum Beispiel beinhaltet die Periode vom Beginn der Osloer Verträge bis zu ihrer Nichteinhaltung." Sharif Kanaana ist ein 70-jähriger palästinensischer Ethnologe an der Bir Zeit Universität in Ramallah. Sein Spezialgebiet ist die palästinensische Oral History, die erzählte Geschichte, wie sie im Mund des Volkes auftaucht und verschwindet.

Seit 15 Jahren, hat Kanaana beobachtet, kommunizieren Palästinenser untereinander stark über Witze und Anekdoten. Tausende davon hat er in Kisten und auf Karteikarten zusammengesammelt. Am weitaus beliebtesten waren bis vor kurzem die palästinensischen Arafat-Witze, von denen Kanaana Hunderte erzählen kann.

"Ich will einen palästinensischen Staat", sagt Arafat zu Gott, der ihm einen Wunsch erfüllen will. Gott druckst herum. "Das wird nicht zu deinen Lebzeiten passieren, Arafat." "Ich will Jerusalem". "Das wird auch nicht zu deinen Lebzeiten passieren, Arafat." "Dann will ich wenigstens so gut aussehen, wie George Clooney." "Arafat!", sagt Gott, "das wird noch nicht mal zu meinen Lebzeiten passieren."

Mit Witzen zurückschlagen
Ähnlich wie in den osteuropäischen Ländern oder in der DDR vor dem Mauerfall hat die jahrzehntelange Unterdrückung und Gängelung durch die israelische Besatzung und durch die palästinensische Autonomiebehörde auch bei den Palästinensern eine Kultur der Witze entstehen lassen. "Wenn das Volk zum passiven Objekt der Geschichte gemacht wird, ohne freie Presse oder einen freien Buchmarkt, geschweige denn Teilhabe an der Macht", so sagt Sharif Kanaana, "dann schlägt es eben mit Witzen gegen die da oben zurück." Die Arafatwitze ließen kein Thema aus, weder sein Aussehen, noch seine zeitweilige Unbeliebtheit beim Volk.

Als Feisal Husseini, der Ostjerusalemer Palästinenserführer, eines Tages Arafats Empfang auf dem noch funktionierenden Flughafen in Gaza vorbereitete, befahl er 20 Leuten seiner Ehrengarde am Flughafen auf Arafat zu warten. Er gab ihnen Gewehre und sagte ihnen, sie sollten salutieren und dann jeder 30 Schuss abfeuern, wenn Arafat ankomme. Alle nickten begeistert und geehrt. Nur der Mann aus Hebron fragte: "Ok, verstanden, ich mach ja alles mit, aber was soll ich tun, wenn ich Arafat schon mit dem ersten Schuss umlege?

Arafat als Witzfigur
Im Unterschied jedoch zu den osteuropäischen Machthabern nahmen die Palästinenser die Dinge nicht so ernst. Wurden politische Gegner auch mundtot gemacht, gefoltert oder Abgeordnete schon mal verprügelt, Witze machen war erlaubt und sogar gewünscht von der Obrigkeit, wie Kanaana erzählt. "Es war so, dass die härtesten Witze sogar direkt aus der palästinensischen Autonomieregierung stammten. Unsere Führer haben sie selbst erfunden und übereinander erzählt. Man sagt, dass Arafat selbst regelmäßig über Arafat-Witze gelacht haben soll. Sicher aber ist, dass Mitglieder der Fatah und der Autonomiebehörde etwa die schlimmsten Sexwitze über Arafat und seine Frau erfunden haben."

Es gab Vieles, über das die Palästinenser Witze machten: Arafats Wünsche, seine Verstocktheit, sein Missmanagement, die Korruption, die Unterdrückung, die wechselnden Premierminister. Allerdings behandeln die Witze nur Dinge und Personen, die einen Unterschied machen. Arafat war über 15 Jahre lang die Nummer eins der Geschichten. Ein halbes Jahr vor seinem Tod aber, so sagt Kanaana, hörten die Witze über ihn abrupt auf, als hätte sein Volk ihn auf einmal still beerdigt und vergessen.

Den jetzigen Regierungschef Abu Masen dagegen ließen die Witzeerzähler als letztes mit Arafat in ein türkisches Bad gehen. Arafat musste 50 Shekel Eintritt zahlen, Abu Masen 100 Shekel. Auf seine empörte Rückfrage, wie es dazu käme, antwortete der Badeigentümer: "50 Shekel zahlen die einfachen Korrupten. Du aber zählst für zwei."

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005

Auf Deutsch ist von Sharif Kanaana und Pierre Heumann 2001 im Chronos-Verlag das Buch erschienen: "Wo ist der Frieden? Wo ist die Demokratie? Der palästinensische Witz: Kritik, Selbstkritik und Überlebenshilfe" (159 S., ISBN 3-0340-0536-9)

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